+ Zweiter Quartalbericht.____ (Archiv) Juli 1856. Es ist neulich eine greuliche Sünde der Tulu-Leute ans Licht gekommen; leider in Folge von Vorgängen in der hiesigen Gemeinde. Doch müssen wir ja erwarten, dass jede Sünde, die im Volke herrscht, auch irgendwie in den Bekehrten, und noch mehr in Namenchristen sich regen und allmählich erst vom Glaubensleben überwunden werde. Der erste Schritt dazu ist ihre Offenbarung, welche wir daher immer mit Freude bewillkommnen wollen. Finsterniss geoffenbaret ist ja, nach Paulus, schon eine Art Licht. Diesmal wars eine besondere Art Giftmischerei, "Keimasa" genannt (bei Canaresen und Concani "keimasaka - Bezauberung, Verdüsterung"). Der Anlass zur Untersuchung war kurz der: Ein Mann hatte Streit mit seinem Weib, und warf ihr vor, ohne auf den anwesenden Katechisten zu merken, das Wort hin: du bist wohl im Stande es mir anzutun wie Jene. Der Katechist wollte wissen, wen er meine, der Mann fürchtete sich und suchte auszuweichen, am Ende aber gab er nach, er wolle und könne Niemand anklagen, er habe sich nur auf etwas bezogen, das schon seit Monaten unter etlichen Gemeindegliedern, namentlich den Webern rumore. Hanna, Simsons Frau, sei verdächtigt, keimasa zu geben. Alsbald untersuchte Br. Bührer und fand ungefähr folgendes: - in Europa wird man darüber lächeln, hier aber war es auch den besterzogenen Katechisten gar nicht lächerlich zu Mut, - Keimasa wird aus etlichen Ingredienzen zusammengesetzt. Der Kot einer Eidechse, Abschabsel von Menschennägeln, ein an Meeresfelsen klebender Wurm etc. sind dazu nötig. Es kanns nicht Jedermann; die Kunst ist in Familien erblich, so nehmlich, dass etwa eine Mutter unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit einem ihrer Kinder das Geheimniss mitteilt. Stirbt jene, so kommt über die eingeweihte Person ein eigentümliches Verlangen, die Kunst auszuüben. Solches geschieht durch Mischen des Gifts in das hitzige Zugemüse zum Reis (Kari). Dergleichen Personen verraten sich oft durch allzuzärtliches (Verlangen) Einladen; daher man wohl tut, sich immer genau über die Leute zu besinnen, welche in einen dringen ihr Gast zu werden. Man weiss von Weibern die Niemand bereden konnten, zu ihrem Gebräu niederzusitzen, und dann in wahrer Wut der Giftmischerei ihren Kindern Keimasa gaben. In gewissen Kasten herrsche das Laster mehr als in andern. Die Weber namentlich seien dafür berüchtigt (vielleicht weil sie, in diesem Lande der Höfe, allein in Strassen beisammen wohnen, und daher geselliger sind, und mehr zusammen essen und trinken, als andre Kasten). Darum gebe es aber auch unter ihnen die meisten Kenner und Aufspührer des Gifts. Neulich haben die Weber ein grosses Essen gehabt, dabei sei einem jungen Mann ein Brot zugefallen, das dem Nachbar verdächtig vorkam. Der habe ihn alsbald gewarnt, und ein Stück davon einer Katze zugeworfen. Die ass davon, taumelte und fiel tot nieder. Wie aber das Brot dahin kam, war nicht ausfindig zu machen. Doch war dieses nicht Keimasa. Die Wirkung des letzteren ist viel langsamer, aber wie sie sagen, dennoch sicher. Man fühlt am Abend einige Uebelkeit, die aber zu vergehen scheint, nur bleibt eine Mattigkeit zurück, welche mehr und mehr überhand nimmt, und der Patient stirbt nach Jahr und Tag. Das Keimasa werde nicht verdaut, es sammle und verhärte sich nach und nach in einen Klumpen, und wenn der behaart werde, trete der Tod ein. Das einzige Gegenmittel sei ein gewisses starkes ätzendes Brechmittel. Wieviel an all diesem wirklich ist, wieviel auf Einbildung und Aberglauben beruht, können wir nicht ermessen. In dem besondern Fall den Br. B. zu untersuchen hatte, kam nun zuerst ans Licht, dass Simsons Weib einigemal besessen wurde, auch nachdem sie sich an die Kirche angeschlossen hatte. Sie wollens Gr. gesagt haben, der habe gemeint, es sei eben eine Krankheit und werde von selbst vergehen. Zu gewissen Zeiten, als der Dämon über sie kam, habe sich derselbe wie Simsons frühere Frau geberdet, einmal sei er auf Schlagen mit Besen und Schuhen gewichen. S. gab zu wahre Christen werden nicht besessen, und er hätte die Sache vor uns und den Katechisten nicht verheimlichen, sondern zum Gebet für sie einladen sollen. Vom Keimasa in der Familie will er nichts wissen, freilich sie seien Weber, und haben oft von Keimasa gehört, aber nie etwas derartiges prakticirt. Im Verlauf der Untersuchung konnte er nicht läugnen, dass über Verwandte seiner Frau schon solche Gerüchte umgelaufen seien; auch habe der Hass seiner Kastengenossen dazu beigetragen, ihnen den Uebertritt zum Christentum nahe zu legen. Ein Weberjunge Z. hatte einmal bei S. gegessen und wurde alsbald krank. Ein erfahrener Alter kurirte ihn, und warnte ihn nicht mehr dort zu essen. Auf vieles Zureden von S. ass er doch noch einmal in dessen Haus, und erkrankte selbigen Abend. Nach einigen Wochen nahm er die gebräuchliche Medicin und erbrach ein mehr als fingerlanges Stück das alsbald für Keimasa erkannt wurde. Er selbst wollte es Br. Haller zeigen, andre waren fürs Verbrennen; in diesem Fall glaubt das Volk, werde die Giftgeberin an einem Auge blind oder krank an den Füssen. Feuer wurde geholt, und der Klumpen hineingeworfen, aber ein Verwandter S. wehrte ab: "Warum wollt ihr Schuld auf sie bringen, macht doch kein böses Gerücht"; und so warf man es halbverbrannt fort. Verdächtig war nun allerdings, dass dieser Verwandte seinen Anteil an der Verhandlung läugnen wollte, "Was kümmre er sich um seine Verwandten". - Simsons nächster Nachbar, der gute alte Christian, gestand einmal krank gewesen zu sein; der ihn kurirte leitete sein Uebel von Keimasa ab, er aber wisse davon nichts. Allerdings habe er von den Webern manches zu leiden, weil er im Trinken etc nicht mit ihnen anstehe, und Sims. habe ihm einmal gesagt: "Du hast mich überredet Christ zu werden, und was habe ich jetzt davon? hättest du mich doch in Ruhe gelassen." Ein andrer Weberjunge O. ist seit 2 Monaten nicht ganz wohl, er hat nur in 2 fremden Häusern gegessen. Kenner, die ihn behandeln, sagen ihm: "Dass du bei A. gegessen hast schadet nichts, aber - Auch in diesem Fall, war der oben genannte Verwandte S.'s böse darüber, dass er Gegenmittel gegen Keimasa versuchen wolle. Dies ist ungefähr alles was in der Untersuchung an den Tag kam. Da der Verdacht nicht zureichte weitere Schritte zu rechtfertigen, machten wir eben einen möglichst eindringlichen Schluss, mit Ermahnung zu ernstlicher Busse und offenem Bekenntniss, sowohl bei den Einzelnen als in der Gemeinde. Aber demütigend ist es allerdings, dass solch ein Verdacht unter Namenchristen so tief eindringen konnte, und dass bei Simson und seinem Haus, Regelmässigkeit im Kirchenbesuch ausgenommen, leider nichts zu finden ist, das uns berechtigte den Verdacht als völlig ungereimt wegzuwerfen. Dennoch wird die Geschichte dem christlichen Leser mitgeteilt, als ein Beitrag zur Einsicht in die besonderen Gebrechen und Schäden der neugesammelten Gemeinden, in denen meistens ein kleines Licht mit dicker Finsterniss zu kämpfen hat. (ohne Unterschrift) H Gundert.