Herrn L. Gundert, Bibelhaus, Stuttgart. XLVIII. Tellicherry 20. May. 40. Euer liebes Schreiben vom 6 Januar ist endlich (18 May) hier angelangt, eine Verspätung die nachdem wir in Indien an 1 1/2 monatliche Europa Briefe gewohnt geworden sind, allerdings dem Brief den Geschmak läßt, aber doch den frischen Geruch nimmt. Beim Oeffnen zeigte mir gleich Theodors Handschrift daß er indessen älter geworden ist und dem Ludwig im Schreibfach nacheifert. Er soll überzeugt seyn daß ich beim Jahreswechsel so bereit war an ihn zu denken, als er an mich. Mit dem "einzigen Bestreben" "nehmlich nach Zufriedenheit des Principals" wirds wohl auch seiner Zeit ins rechte Geleis kommen, wenn ihm das schwere Pfund göttlicher Liebe in Christo, dem wir durch unser Handthieren Zins einbringen sollen, einmal gewichtig aufs Herz fällt. - Mit Dir, lieber Vater, abzurechnen steht mir freilich nicht zu, doch dächte ich, Vater Mutter Geschwister und Freunde (wie dießmal der liebe Wetzel) könnten auch in kürzeren Zeiträumen, als ein Halbjahr, zusammen einen Brief auffüllen. Ich bin überzeugt öfteres Schreiben geht mir und wohl auch andern leichter von statten, als lang aufgeschobenes: zum letzteren hat man sich mit ernster Miene hinzusetzen, beim erstern läßt man im Vorbeigehen die Details die einen zur Stunde bewegen, aufs Papier hinlaufen und hat eine Seite fertig, ehe man sichs versieht. Ludw z. B. wenn er durch Stutg fährt könnte einen Bogen anfangen, Ernst in einer Hitzvacanz erinnert sich daß sein Br. noch in einem heissern Nachmittag, wie der heutige ist (gerade vor Einbruch der Regenzeit) ihm ein freundliches Grüßle schikt, und erwiederts in Lat. or Gr. oder gewöhnlich Deutsch. Theodor geht auch nicht nach jedem Abendgebet schlafen. Und den lieben Vater absolvire ich, soweit mein Priesteramt ohne apostol. Handauflegung geht, von jeder Aussetzung des Kirchenbesuchs zum Behuf eines brieflichen Besuchs ('s ist doch nie ohne Predigt) bei dem Ei oder Küchlein von Kirche in Tellicherry. - Nachricht von der Bücherbestellung ist eingegangen, Young hat sie einem Parsi Kaufm. in Bombay für uns addressirt. Sie wird aber wahrscheinlich solang liegen bleiben als die Brüdersendung; weil von Mitte May - Sept das Meer die Küste hinauf geschlossen ist. Keinem Schiff, dem beim Landen im Monsun was zustößt, wird insurance bezahlt, daher wir die Hoffnung aufgegeben haben die Brüder vor dem Herbst zu sehen. Die Schachtel langt dann zum nächsten Christtag und der Kleine der um mich her im Geringel tanzt, und mit einem unserer Nazarani Waisenknaben sich im Spaß herumschlägt, wird dann auch die Arche schon besser verstehen lernen. Ein Biblisches Bilderbuch (mit oder ohne Text) wäre mir aller unserer Kinder wegen lieb, während sie es dem Kleinen zeigen, würden sie selbst mehr daraus lernen, als wir Ältere uns oft denken. - NB Häubchen haben wir keine, brauchen sie auch ausser in den ersten Wochen nicht. Kinder, etwas kurzweg und einfach behandelt, gedeihen in den ersten Jahren besser in Indien als irgendwo. Aber vom 5ten, 6ten Jahr an, sollen sie zu schnell aufschiessen, ausser sie werden in kälteres Clima versetzt. Der lieben Großmutter und Mutter herzlichen Dank für alle Liebes Zeichen. - Der liebe Vater irrt sich - beg pardon - wenn er den kl Herrmann noch für demüthig hält, nakt zwar ist er und kann für gewöhnlich Kleider nicht recht ertragen, doch wenn er was schön gefärbtes erwischt, schleift ers nach sich und schlingts um sich, und dann heben sich seine Füsse zu einem stolzeren Schritt. Thut man ihm den Willen nicht, so wirft er sich auf den Bauch, als breche er zusammen; und schreien kann er auch - Beim Abendgottesdienst in Mal, wenn alle auf der Matte in der Stube herumsitzen und mit Gesang anfangen, singt er mit und dreht sich wie im Tact herum. Die vielen Kinder verderben ihn ein wenig, weil sie ihn alle als maha radja "großen König" mit sich schalten und walten lassen. - Müller schrieb mir dieser Tage er habe in Folge von Herrn Hoffmanns Brief sich an die CMS um Aufnahme gewandt, noch keine Antwort erhalten, er und seine Frau waren auch durch Krankheit recht in die Noth gebracht. - Ihr fragt nach Tag- und Jahres-zeiten. Da ich euch etwas mehr als 65 Grad östlich bin, und 15 Grad einer Stunde gleich kommen, geht mir die Sonne etwa 4 St. 24 Min bälder auf als euch. Mit der Frühlings Sonnenwende fängt in ganz Indien die eigentliche heisse Zeit an, die aber auf dieser Küste schon Mitte Mays durch die Regenzeit unterbrochen wird. Die bedeutende Wassermasse die als Dampf aufsteigt (vom Cap der guten Hoffnung an im dortigen Sommer Dec und Jan, unter dem Aequator im Merz bewirkt einen heissen Luftzug nach Nordost, dem am Anfang des Jahrs ein kalter vom Nordpol her entgegen arbeitet. Der kalte ist unten, die warme Luft mit ihren Wolken eilt darüber hin den Gebirgen zu. Vom Ende März sehen wir die Ghats (Mal. Tschuram oder Sahya Geb.) immer in Wolken und Wetter gehüllt, die Atmosphere ist stark electrisch, Stürme und Gewitter kommen oft Nachts an die Küste herunter, der Wind verliert seine Beständigkeit in der ganzen arab. See, und wechselt in unbedeutenden Zwischenräumen von Ort und Zeit den ganzen April hindurch. Endlich (1839 am 10 May, 1840 heute) werfen sich die schwarzen Wolken geradezu aus dem Meer über die Küste hin, und es wird auf einmal recht kalt und naß, der Juni meist ununterbrohen Regen und starker SWwind im Juli etliche schöne Tage im August (Ende) ziemlich Ruhe, im Sept und Oct wieder Convulsionen in der Atmosphere, dann 1/2 Jahr ohne Regen. (ausser daß hie und da etliche Dec. oder Jan Schauer von der östlichen Küste herüberkommen.) Vor der Regenzeit steigen alle Preise, jedermann kauft Vorräthe ein, Juli und Aug sind oft sehr theuer, im Aug. aber wird der in den ersten Regen gesäete Reis geerntet (oft Knietief im Wasser alle Thäler hinauf.) und die ersten Bombay Schiffe (Pattimar genannt) bringen neue europ Sendungen herab. Von Oct bis Dec ist am hellen Tag der Seewind, bei Nacht der durch Ausdünstungen verwesender Pflanzentheile gefährliche Bergwind gewiß: die Nacht in Dec oft recht kalt. - Wir stehen Morgens vor 6 Uhr auf, die Kinder jedes einzeln waschen, repetiren ihre Lectionen in diesem und jenem Winkel, und 7 Uhr ist Morgengebet in Mal. an welchem zuerst 6 oder 7 der besser studirten Kinder ihre Lectionen (Verse des vorigen Capitels) hersagen und der Inhalt des gestern gelesenen kurz recapitulirt, dann ein neues ganzes oder 1/2 Cap. gelesen wird; da mit lassen sich Erklärungen, Anwendungen auf persönliche Fälle usw. verbinden. Gebet zum Schluß Frühstük ... (hier gepflanzter) Caffee, (etliche Bohnen von einem am Haus stehenden Baum) und Brod, (nicht theuer, etwa 20 Doppelweken für 1 Rup. = 66 Kreuzer) mit Butter (den ich seit 36 nicht mehr vertragen kann.) und Früchten (jetzt gerade Mango Bananen, von denen aber kein Hindu lebt, noch je_leben_kann, wie die Calw N Gesch. haben will, Ananas, alle geschenkt von der gentlemen Gärten). Dann (8 Uhr) habe ich meine jungen Leute, Schulmeister etc und lese paulin. Briefe, sie haben Lectionen herzusagen und lernen Zusammenhang und histor-geogr. Anmerkungen - 9 1/2 Uhr. Um 9 Uhr kommen die Mädchen aus der Stadt, portug., indo brit., kathol. Concans von Goa, Parsi, und Malayalen zusammen 26, und lernen mit meiner Frau Vormittgs bis 12 Uhr Bibel Lesen, Schreiben, mit einem der jungen Männer Rechnen, bei Fr Harris Geogr. und Geschichte, Nachmittags 2-5 Uhr meist weibliche Arbeiten. Indessen habe ich von 9 Uhr den Munschi bei mir, der meiner Lection halb beiwohnt, etliche der älteren Knaben Sanscr Grammatik lehrt, mit mir eigene oder von den jungen Tinnev. Christen gefertigte Uebersetzungen oder Briefe durchgeht: mein Lesen ist unterbrochen vom Nachsehen bei den Knaben, die neben mir unter einem der christlichen Schulmeister lernen, von Besuchen die ich in der großen Mal Schule (50) draussen abstatte, oder von Eingebornen erhalte. Um 1 Uhr Essen; die Kinder Knaben einerseits, Mädchen andrerseits, auf dem Boden, wir am Tisch in der Mitte: sie essen Reis mit etwas Kari (Fleisch oder Früchte, in geschmakhafter sehr hitziger Pflanzensauce verkocht): wir gewöhnlich Suppe und Reis und Kari (oft aber erhalten wir geschenktes Fleisch, Stüke von Schwein, Schaf, Wildbret, Hasen - das ist dann extra, macht rice und curry nie entbehrlich) und Früchte. Wein zu Zeiten, wird auch manchmal geschenkt (letzthin von Harris 4 Duzend Bouteillen, um Gäste zu empfangen. Von 2 Uhr an eigentliches Lehren bei Knaben und Mädchen, wo es gerade Noth thut, und Unterricht von Tauf- oder Abdmahlscandidaten. Um 6 Uhr Spatziergang ans Seeufer mit den Kindern, der kl Prinz tummelt sich im Sand herum, und läuft bis um den Bauch in die anschwellende Fluth. Nichts geht ihm über dies Seebaden. An sehr heissen Tagen bade ich auch manchmal nach Sonnuntergang. 7 Uhr Thee (jetzt ein Substitut von Zitronengraß) mit Brod und Früchten. Dann Abendgebet, wozu auch Leute aus der Stadt kommen, oft 30 Hörer (Kinder mitgerechnet) Gesang (habe selbst etwa 20 Lieder in deutschem Versmaaß gemacht) NT, Erklärung Gebet dann beim Licht sitzen, ich lese und schreibe Brief, Frau und Mädchen arbeiten, oder spielen mit dem Kleinen wenn er noch nicht eingeschlafen ist. - Kleider? Alles Baumwolle, Hosen (ausser für Besuche) gefärbtes indisches Zeug, weisse Jaken, mit Zeug überzogener Strohhut. Schuhe, leicht und schlecht und wohlfeil (kaum gegerbt). Der Kleine etwas wie Bettkittel, streifts aber immer ab, wenn er kann. Die Mädchen hintenschliessende Jaken und Schürze, die Knaben nichts als ein 2 Ellenlanges Stük Zeug um den Gürtel herumzuschlingen. Besuche in der Umgegend meistens am Morgen sehr früh, bei fremdthuenden Engländern um Mittag, bei befreundeten Abends. Ich habe noch immer das von Groves * gegebene Gäule und habe im vorigen Haus der weiten Entfernungen wegen ein Chais'chen (um 90 Rs) gekauft wozu Fr. Anderson das Geschirr schenkte. In der grossen Eiferperiode wollten wirs oft wieder verkaufen, es that sich aber keine Thür auf, und ist zu alt für engl. Herren: seither bin ich getrost werden es zu behalten, da es meiner Frau und mir den Palankin (Palankin Träger einen Besuch kosten eine Rup.) erspart. Das letzte Halbjahr (Nov - May) kostete 292 1/2 R Haushaltung (Essen und Diener) und etwa 200 Privatausgaben. Knaben und Mädchen 248 (also eines kommt auf etwa 2 1/4 R des Monats. Porto schätze ich auf 100 R des Jahrs. Jetzt genug gekramt. Der HErr segne und behüte uns namentlich auch in diesem Kleinen treu zu seyn, daß er uns bald unser großes Eigenthum und Erbtheil geben könne. In herzlicher Liebe Euer Herrmann.