Mr L. Gundert, Bibelhaus, Stuttgart, Wurtemberg, paid overland to Marseilles, aux soins des Mssrs Imer et FrŠres XLVI. <(Tell. c.* 19 Febr 1840)> (44 am Ende Oct. 45. In Dec. durch Henry Groves *, der über Alex. nach Engl. geht.) Geliebte Eltern! Ich habe nicht was ich wohl wünschte, einen langen Brief vor mir liegen, um ans Beantworten desto frischer zu gehen, wohl aber frischen Glauben und Liebe im neuen Jahr, bürgerlichem und persönlichem. Ich darf wohl sagen ich fühlte mich frischer in diesem neuen Jahrsanfang, als in irgend einem seit 1835. Auch sind nur erst in diesem Monat (dieß ist 19 Febr) etliche Gewichte abgenommen worden die seit geraumer Zeit etwas schwer auflagen (betreffd die Verhältnisse unter uns Missionsbrüdern). Unser lieber HErr wolle uns jegliche solche Erfrischung zu fröhlicherer Arbeit in seinem Weinberg segnen! - Ich beginne beim Nächsten meinen Spruch anzuheben - das Kleinste ist ja das dem am meisten Ehre angehängt wird. Der 10monatliche Herr Herrmann schlägt sich weidlich mit seinen Zähnen herum. Wenn ihm der Kopf zu heiß wird, legt er ihn auf ein Buch oder den kalten Kalkboden in der Stube: im Bett aber wirft er sich manchmal schlafend ans Geländer was dann nicht ohne erbärmliches Schreien abgeht. Seine Sprache besteht in Mama bei Nacht, (denn Papa ist schläfrig und zu nichts gut um diese Zeit) bei Tag aber ist Nichts besser als Papa, namentlich wenn er einen Schirm oder Strohhut ergreift, denn dann ist Hoffnung vorhanden, der Papa nehme ihn mit. Alles andere lebendige, die Mädchen und Knaben, Katz und Hund - heißt wa und wawa, was in Mal. "komm, komm her" bedeutet. Für Negation hat er noch keinen andern Ausdruk als das Pfännle und Kopfdrehen: für Imperativ braucht er verschiedene Modulationen vom schwäbischen han (das wohl "haben" bedeutet) bis zu einem vorbabylonischen Schreien, das wohl zur Universalsprache gehört. Seit er sich im Dec. das vulgärere Milchtrinken abgewöhnt hat, lernt er cantshi, welches Brei aller Art bedeutet, wohl verstehn, ahmt aber das Wort mehr durch Geberde als Lautsprache nach. baby ist der Name auf den er horcht: bezeugt sich aber auch nicht ärgerlich, wenn er Lümple und andere Le gescholten wird. Er liebt Musik, namentlich von fallenden Löffeln, auch von Gläsern, wenn er sie in die centripedale Richtung zu bringen vermag. Dieser letztern ist er sehr zugethan, daher ich auf nicht geringe astronomische und macrocosmische Anlagen schliesse. Eine Parabel zu beschreiben, hilft ihm das Bändelein seiner Kappe, so oft ers erwischen kann. Daß er nicht einseitig in seinem Bildungsgang ist, könnte ich vielfach belegen: wenn er zum Beispiel sich über den Tisch hinstrekt ohne die Gesetze des Gleichgewichts zu beachten, scheint das von Nachahmung der Vögel herzurühren: im Wasser spielt er wie ein Fisch, dann aber wird er Amphibium und liebt Wechsel, und erinnert sich wiederum daß er Säugthier ist, mittelst des Schwamms mit dem er badet. Ich knüpfe jetzt mehrere wissenschaftliche und andere Untersuchungen an dieses interessante Phänomenon in unserem Hause und finde Oetingers Wort über den Menschen bestätigt daß er ein Auszug aus allen Kräften ist. Gestehe dabei, so weh es mir thut, daß er etliche Grade von Eigensinn verlieren dürfte, ohne daß zu befürchten stünde, seine Persönlichkeit verschwimme zu sehr mit andern. Etwas von seines Vaters Temperament zeigt sich, wenn er z. B. Unrecht ihm angethan, als Lanciren seiner Zähne ohne Erlaubniß - nicht ertragen kann und mehr über den Geist, als die ihm verursachte Körperschmerzen einer solchen Handlung lamentirt: andererseits ist er ganz sicher daß was er will nur das Rechte ist, und unterscheidet gut und böse nach dieser Regel. Es ist daher ein Glük daß sein Gedächtniß und Reproductivkraft so eingeschränkt ist: oft weiß er selbst nicht was er will, und ein andersmal kann man es ihn vergessen machen. Sein Auge aber, bald ernst, bald spielend, scheint manchmal etwas von einer obern Welt abzustrahlen, etwas von der Art, was den verhärteten Sünder sich wieder in die Säuglingsjahre zurükwünschen machen kann. - Meine Frau seine Mutter hat bei Tag wenig mit ihm zu thun sie hat 8 Mädchen in der Kostschule, Waisen: diese sind anhänglich und lernen bes. Spitzen klöpfeln, ein Erwerbzweig in Indien, mit andern weiblichen Arbeiten. Morgens von 9-12 und von 2-5 ist eine Mädchenschule in der Verandah besucht von Portug. Concanie (von Goa) und andern cathol und anderweitigen Eingebornen - auch 6 Parsi mädchen, diese lernen Bibellesen, Schreiben Rechnen, (auch an 2 Tagen die älteren Geographie bei Fr Harris) und jeden Nachmittag weibliche Arbeit zum Theil mit Vorlesen. Diese Arbeit ist mehr als genug für meine Frau, da ihr die Haussorge - für etwa 20 Kinder auch ziemlich Zeit wegnimmt. - Für meinen Arbeitszweig habe ich 1.) die Nazarani Waisen die sich recht an mich anschliessen, 2.) die engl Schule - der hiesigen Gentlemen wo ich täglich eine Stunde engl Gramm Geschichte oder Geogr. lehre. 3.) Unterrichtung der Taufcandidaten, nicht zusammen sondern mehr jedem privatim, wozu ich Helfer habe. Der Tierschwester, in Betulius Brief erwähnt, schike ich z. B. Catechist Vedamuttu zu täglichem Unterricht Vormittags, und habe sie dann weniger regelmässig des Nachmittags. Eine andere Tschinnama kocht für unsere Kinder, ist einfältig gläubig, ohne große Entschiedenheit. Der junge Anjercandy Sclave unser Wasserträger lernt ordentlich, wächst aber wenig im Fleiß der Heiligung - 4.) Unterricht der Lehrer und Schulmeister jeden Morgen 2 Stunden. 5.) Besuche erhalten und geben. Mein liebster Besuch bleibt der alte Philosoph Kugni Veidyen ein Doctor, jetzt 76 Jahr alt. Ich besuchte ihn letzthin in seinem Haus, eine Stunde von hier, und fand ihn kaum fähig zu laufen. Er trägt es aber mit der besten Geduld. Ich fragte wo seine Familie sey - nur 2 Weiber waren sichtbar. Ach, sagte er, alle die jungen Leute laufen wie wahnsinnig dem heutigen Fest nach. Unsere Kaste die Tier verschwenden heute eine Woche Taglohn, sie häufen Reis und andere Opfer vor dem Götzen auf, reiben ihm ein oder 2 Körner zwischen den steinernen Lippen und dann gehts ans Tanzen in Götter Masken. Ich kann sie nicht halten: sie nicht überreden daß was sie verehren ein Stein ist. Was mich betrifft, so wird mir in diesen letzten Monaten nichts so deutlich als daß dem christlichen Glaubensweg nichts an die Seite zu stellen ist. Ich fragte ihn, ob er frühere Lectionen über die Persönlichkeit Gottes und seine persönliche Liebe zu uns, bezeugt durch den Tod seines Sohns gefaßt habe. Fand daß er noch mit dem naturalisirenden Dämon viel zu schaffen hat, der ihm Gott und die Seele vermischt. Ich ließ mir dann von seiner Schwiegertochter Wasser bringen, und die Weiber nachdem sie umsonst mir Thee zu machen anboten (es war schon dunkel und er hat als Doctor auch tshinesischen Thee) sassen mit ihm nieder meine Geschichte alle anzuhören. Dießmal suchte ich den Gegensatz zwischen tödtenden, zum Tod hassenden Menschen und einer durch Hingabe in den Tod sie errettenden Liebe möglichst zu schärfen. Für Liebe haben die Hindu schöne Worte, aber kein gemeiner Mann versteht sie - alles darein einschlagende, wie Hingabe Aufopferung muß durch Beispiele erklärt werden, die ich dann meist aus ihren ältesten, gesunden Sinn der Urzeit enthaltenden Fabeln nehme und dann mit biblischen Thatsachen kröne. Sünde ist nach Hindubegriffen ein Leiden, ein Geschik - hört einer von einem unnatürlichen Tod, so seufzt er vielleicht ah papam! ach Sünde! - Daß Sünde eine freie That (frei im philosoph. Sinn) eine Feindschafts- oder Kriegs-erklärung ist, davon kein Gedanke. Mir leuchtet immer mehr ein, wie nöthig wir für unsere unreinen Lippen, unter einem Volk von unreiner Sprache wohnend, die Kohle von unter den Cherubims haben: und finde Gottlob daß Geduld geübtere Sinnen gibt. - 2 Stunden von hier habe ich in diesem Monat eine christliche Schule zu Errichten die Ehre gehabt, in Catirur. Die Leute sind verwandt mit dem alten Doctor, und nehmen mich aufs Freundschaftlichste auf. Bei dem ersten Besuch legte ich ihnen die Hauptsache der muhammed. Religion und unseres Glaubens vor, worauf die Eltern nicht nur keine Sorge zeigten, sondern sogar Andeutungen - freilich unzuverlässige - gaben daß wenn Gewißheit da wäre unsere Anstalten haben guten Bestand, wohl ganze Familien sich an uns anschliessen würden. Hiezu ist unter anderm ein weltlicher Beweggrund guter Art, der in andern Provinzen nicht statt findet. Die Eingebornen hier (ausser Brahm.) lassen die Neffen, nicht die Kinder heirathen, da den Weibern Vielmännerei oder besser Männerwechsel erlaubt ist (nach dem alten Kerala Gesetz). Natürlich aber findet bei jeder besseren Heirath der Vater viel mehr Liebe und Herzenswünsche für seine Söhne als für die Kinder seiner Schwester, und sucht daher bei Lebzeiten denen die er für seine anerkennt, nach Vermögen Geschenke zu geben, in Gold und Artikeln, aber nicht in liegenden Gütern. Auch Testamentmachen hat dem alten Gesetz vielfach Eintrag angethan. Die Folge ist beständige Processe und Familienzwiste, durch welche das ganze Land und jeder Erwerbzweig nothleidet. Kein Tier ist erlaubt, sich nach dem Tamil oder Sanscrit Erbschafts- und Castengesetz zu verhalten - die englische Regierung hat ein für allemal die Kastengesetze geheiligt. Diesem Umstand schreibe ich es zu, daß viele die nur von weitem von unserer Relig. hören ein gewisses Verlangen darnach haben. Denn Christen sind hier auch eine Kaste, sie mögen wollen oder nicht, und dann dürfen sie auch die Vortheile der christlichen Gebräuche sich aneignen. - Am 17ten dieß Monats bei dem ersten Schulexamen in Catirur hatte ich 34 Kinder, ... von der Tier Kaste, 7 von ihnen konnten lesen, mit ihnen besprach ich das Gelesene und predigte den Umstehenden. Flora Brennen das 10jähr Mädchen das wir in Kost genommen haben lief mit mir am Morgen hinaus, und frühstükte mit mir Kocoswasser. Sie ist jetzt sehr anhänglich an uns, obgleich auch die Fehler der Eingebornen (Zweizüngigkeit) bei ihr tief gewurzelt sind. - Am 1-4 Febr machte ich auf Einladung einen Besuch in Anjarcandy, wo ich den Sclaven predigte - es ist harter Boden, und gebe oft fast alle Hoffnung auf, ausser daß ich denke und bete, der HErr wolle den HErren der Arbeiter das Herz wenden. Wenn es ihnen ernstlich um Christen zu thun wäre, sie könnten ein Licht für den ganzen District seyn: so aber fürchte ich suchen sie mehr den Namen, für der Arbeiter Leib und Seele zu sorgen um dann in England mit der British India Society ein rechtes Leben gegen Regierung und Compagnie aufzuregen, als daß sie bekehrte Leute zu Wächtern und Richtern um ihre Personen haben wollten. - Mein bester Schüler im Hause ist die (in Betul. Brief) erwähnte Tierinn, sie versteht jetzt göttliche Dinge recht naiv, und verarbeitet sie von Tag zu Tag. Gestern brachte sie mir einen andern von ihrer Kaste der Christ werden will, aber nicht recht weiß warum. Wie sollte er auch, der in 60 Jahren noch nicht gelernt hat, daß er eine Seele hat, noch nicht sich bewußt geworden daß er je was Unrechtes gethan (ausser vielleicht als kleines Kind.) Freilich aber auch auf die Frage was er Gutes gethan habe, gesteht, er glaube nicht daß er je Gutes gethan habe. Der Mann hatte nichts als etwas Zutrauen in meine Person, will sich aber gleich darauf taufen lassen. Ach! die Unwissenheit der Masse ist bejammernswerth; das wissen die Philohindus zu Hause nicht, die sich etlicher alten Sanscritwerke bemächtigt haben und jetzt den Witz dieses Volkes ausposaunen. Ich habe jetzt Arbeit genug vor den Händen um an Brüderzuwachs recht froh zu seyn, hoffe bald auf einen Besuch Hebichs und vielleicht Möglings, wo ich das engl etwas abgeben will (engl Sonntagpredigt, und Donnerstagsstunde). Harris ist immer der alte liebliche. - Fr Lascelles ist zurükgekehrt, ladet mich noch einmal zum Hofmeister ihrer 3 Kinder auf den Nilagiri ein mit allen möglichen Freiheiten - der HErr hat mich aber hier angebunden, daher ich kurz antworten konnte. Die Groves und Young der vorher in Basel war wollen auf den Nilag. eine englische Erziehungsanstalt anlegen worauf ich Fr Lasc. verwiesen habe. Ich fürchte Gr wird sich noch sehr schaden mit seinem beständigen Wechsel, Chittoor wird wohl am Ende aufgegeben werden müssen - meine Tinnevelly Unterarbeiter dort haben ihm den Dienst aufgekündigt weil sie zu hart und in der Ferne gehalten werden. pity! - Ich hoffe der nächste Steamer wird was von euch bringen, wenn nicht so denke ich doch werden die langsamen Brüder (ums Cap herum) mir etwas auftischen. Man erwartet hier, der Bombay Parsen-Taufen und darauf verfaßter Bittschrift der Pars. Hindu und Muhamm. halber, den Missionären werden beschränktere Vollmachten gegeben werden, als bisher. - Nun der HErr sei mit euch. Ich komme nicht ans Fragen und Wünschen, weil ich erzähle, hoffe ihr thut dasselbe, wenns euch Ernst ist mich noch aus der Ferne als ein wohlbedachtes Kind fühlen zu lassen. In des HErrn Liebe Euer H.G. Herzliche Grüsse an Großmutter und alle die sich meiner erinnern. Wird nicht Br Ludwig nach Jahrelangem Schweigen sich auch wieder hören lassen. Lösch hoffe ich wird euch sehen, ich habe ihm alte Kerala Uebersetzungen an Hoffmann oder euch mitgegeben. H Gundert